Keine intrans­pa­renten Schieds­ver­fahren in Berlin!

Am 19. und 20. September veran­staltet die Piraten­fraktion eine Konferenz unter dem Motto „Demokra­tische Wirtschaft“ im Abgeord­ne­tenhaus. Auch wenn dort das Thema Commons/Allmende und Betei­li­gungs­pro­zesse von Unter­nehmen im Vorder­grund stehen soll, werde ich im Rahmen der Vorbe­reitung auch andere Bereich von Demokratie und Trans­parenz in Wirtschaftspro­zessen unter die Lupe nehmen. Als ersten Schritt habe ich mir die im Rahmen des Freihan­dels­ab­kommen TTIP disku­tierten Schieds­ver­fahren genauer angeschaut. Der Fokus lag auf der Frage, ob so etwas auch in Berlin geschehen könnte oder vielleicht sogar schon passiert ist. Ein erstes Ergebnis ist dieser Antrag unserer Fraktion dazu.

 

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Trans­parenz Forte ( by Mike_gh | CC BY-NC 3.0 )

Gestern hielt ich die Rede zur 1. Lesung im Abgeord­ne­tenhaus dazu. Die Rede findet ihr unten. Hier schon mal ein Ergebnis vorweg: Die Grünen entsandten ihre Wirtschafts­po­li­ti­kerin Nicole Ludwig, die einige gute Dinge anmerkte, vor allem zur Doppel­funktion des Senats als Regierung und Verwal­tungschef, und die verschwimmt im Rahmen von Schieds­ver­fahren. Damit werde ich mich nochmal inten­siver beschäf­tigen. Klaus Lederer, Rechts­po­li­tiker der Linken lobte den Antrag, der in die richtige Richtung gehe, und zog Paral­lelen zu den Gewinn­ga­ran­tieren und den Schadenser­satz­for­de­rungs­mög­lich­keiten bei der intrans­pa­renten Wasser­ver­trägen. Sven Kohlmeier von der SPD wollte lieber im Ausschuss disku­tieren und Cornelia Seibeld begründete ihre Ablehnung vor allem mit zwei Punkten:

1. Mit absoluter Öffent­lichkeit sei man als Land im Hinter­treffen gegen­über Privaten, die kein Problem mit intrans­pa­renten Schieds­ver­fahren hätten. Das finde ich ein ziemlich haarsträu­bendes Argument. Zum Einen weiß man ja gar nicht, welche Boni man als Lohn für seine Intrans­parenz bekommt, weil es ja nicht öffentlich ist. Zum Anderen ist das doch keine Abwä­gungs­frage! Gewal­ten­teilung und parla­men­ta­rische Kontrolle aufgeben für poten­tielle Markt­vor­teile? Hallo?
2. Beste­hende Verträge müssten einge­halten werden. („Pacta sunt servan­da“) In Wirklichkeit fordern wir ja gar nicht, irgend­welche Verträge umstandslos zu brechen, auch wenn das vielleicht aus dem Antrag heraus­ge­lesen werden wollte. Aber selbst falls es so wäre, habe ich gute Neuig­keiten:

I. „Pacta sunt servan­da“ Verträge müssen einge­halten werden? Ich kann sie beruhigen Frau Seibeld: Unser Antrag fordert den Senat nicht zum Vertrags­bruch auf. Denn die fraglichen Klauseln beste­hender Verträge würden mit großer Wahrschein­lichkeit einer gericht­lichen Über­prüfung nicht stand­halten. Jeden­falls sprechen die besseren Argumente dafür, dass die Verein­barung von geheimen Schieds­ver­fahren mit der öffent­lichen Hand unwirksam sind. Dr. Johanna Wolff, L.L.M. sagt in ihrem 2012 erschie­nenen Aufsatz „Grenze der Heimlichkeit – Nicht-öffent­liche Schieds­ver­fahren mit Betei­ligung der öffent­lichen Hand am Maßstab des Verfas­sungs­rechts„, den ich mir gerne zu eigen mache: „Beste­hende Schieds­ver­ein­ba­rungen, die nicht explizit die Öffent­lichkeit des Verfahrens vorsehen, sind nichtig. Einfach­ge­setz­licher Maßstab ist insofern § 1030 ZPO Absatz 3 ZPO, der gemäß § 173 VwGO auch in verwal­tungs­recht­lichen Angele­gen­heiten anwendbar ist. Denn § 1030 Absatz 3 ZPO sieht vor, dass ‚gesetz­liche Vorschriften außerhalb des 10. Buches der ZPO, nach denen Strei­tig­keiten einem schieds­rich­ter­lichen Verfahren nicht unter­worfen werden dürfen‘, die Schieds­fähigkeit des Streit­ge­gen­stands aussch­ließen.“ Das gilt insbe­sondere auch für das verfas­sungs­rechtlich zwingende Gebot eines öffent­lichen Verfahrens. Nachlesen können Sie das beispiels­weise in der NVwZ 2012 ab Seite 205.3.
II. Aber unabhängig davon, ob sich der Senat diese über­zeu­gende Rechts­auf­fassung zueigen machen will oder eben nicht, fordert der Antrag nur auf dasjenige zu tun, was nötig ist, um die parla­men­ta­rische Kontrolle zu ermög­lichen. Nach den Aussagen von Frau Seibeld im Plenum hieße das, die Abgeord­neten – gegebe­nen­falls vertraulich zu infor­mieren – aber recht­zeitig über laufenden Verfahren zu infor­mieren und auf Antrag die entspre­chenden Unter­lagen – gegebe­nen­falls im Geheim­schutzraum – zugänglich zu machen. Ich habe zweifel, ob das so passieren wird. Jeden­falls halte ich es nicht für die gängige Praxis. Daher ist der Antrag – auch wenn man diese Rechts­auf­fassung zugrunde legt – sinnvoll. Und falls der Senat doch durch entspre­chende Verträge die Kontroll­rechte der Abgeord­neten in verfas­sungs­mäßig unzuläs­siger Weise beschnitten hat. Dann ist das ein Fehler, der korri­giert werden muss. Dann muss eben nachver­handelt werden. Verträge können geändert werden.

Wie auch immer. Ich freue mich auf die Beratung im Wirtschafts- und Rechts­aus­schuss. Und ich werde mich vorher nochmal infor­mieren, ob entspre­chende Verträge und Verein­ba­rungen tatsächlich durch Akten­ein­sicht zu bekommen sind. Hier ist dann noch die Rede, die ich gestern gehalten habe:

Mit diesem Antrag möchten wir darauf aufmerksam machen, dass das Abgeord­ne­tenhaus von Berlin nicht einmal zwingend davon erfahren würde, wenn das Land Berlin von einem Schieds­ge­richt verur­teilt würde. Unabhängig davon, wie gravierend die Folgen für den Haushalt oder die Belange der Berli­ne­rinnen und Berliner sein würden, hätten wir Parla­men­tarier keinen Anspruch darauf, wer die Schieds­richter waren, auf welcher Grundlage sie entschieden haben und wer das Land Berlin mit welcher Strategie vertreten hat.

Das ist für uns der Gipfel der Intrans­parenz, der mit dem ganzen Thema inter­na­tionale Abkommen verbunden ist. Gerade wird das TTIP-Abkommen – nach dem ACTA-Abkommen 2012  – auch hier wieder völlig intrans­parent verhandelt. Das Abkommen, das inter­na­tional Kritik auslöste, droht zu scheitern. Falls das so ist, auch aufgrund des Misstrauens, welches die Art der Verhand­lungen hervor­riefen.

Das Gute: Im Rahmen von TTIP wurde umfang­reich über Schieds­ver­fahren und deren Auswir­kungen disku­tiert. TTIP würde – falls einge­führt –  ermög­lichen, dass Konzerne in Partner­schafts­ländern nicht vor Gerichten den im Abkommen verein­barten Inves­ti­ti­ons­schutz einfordern, sondern vor unabhän­gigen Schieds­stellen. „Investor-Staat-Streit­bei­legung“ heißt die umstrittene Maßnahme offiziell, kurz: ISDS für die englische Bezeichnung „Investor-to-State Dispute Settlement“. ISDS besteht bereits in etlichen Inves­ti­ti­ons­ver­trägen zwischen zwei oder mehreren Ländern. Nach Angaben der EU-Kommission hat Deutschland bisher 130 bi-oder multi­la­terale Inves­ti­ti­ons­ab­kommen abgeschlossen, in allen EU-Ländern zusammen bestehen rund 1400. In wievielen dieser Verträge es Schieds­ge­richts­klauseln gibt, darüber gibt es keine Angaben.

Die Funktion solcher Schieds­ge­richte: Auslän­dische Inves­toren, die ihre von dem Handels­ab­kommen geschützten Inter­essen diskri­mi­niert sehen, müssen diese nicht vor Gerichten einklagen. Ursprünglich waren diese als Instrument gegen Enteignung gedacht, in Ländern, in denen kein funktio­nie­rendes Rechts­system bestand oder deren Gesetze auslän­dische Unter­nehmen nicht vor Enteignung schützten. Entspre­chende Verträge sicherten Unter­nehmen beispiels­weise bei Inves­ti­tionen in der damaligen Sowje­tunion ab. Bis heute bestehen zahlreiche Verträge zwischen EU-Mitglieds­ländern und ehema­ligen Sowjet­staaten.

Die Nicht­re­gie­rungs­or­ga­ni­sation Corporate Europe Obser­vatory (CEO) kriti­siert, dass dies bei einem Freihan­dels­ab­kommen mit den USA ist das nicht notwendig sei. Die USA haben ein funktio­nie­rendes Rechts­system, außerdem schützen die Gesetze auch auslän­dische Inves­toren bereits vor Enteignung. Zudem haben die Schieds­ge­richte die gleiche Macht wie Gerichte: Sie erhalten Einblick in Gesetzent­würfe oder in Urteile. Und ihre Urteile sind bindend für den Staat. Gleich­zeitig können diese Schieds­ge­richte aber nur von den auslän­di­schen Inves­toren angerufen werden – nicht von Staaten. „Das ist rechts­staat­licher Irrsinn!“

Der Schwer­punkt meiner Kritik ist aber die Intrans­parenz: Denn wie auch immer man solche Schieds­ver­fahren auch bewerten mag: Ganz klar ist, dass sie demokra­ti­scher Kontrolle unter­liegen müssen.

In Deutschland erhielten solche Schieds­ge­richte Aufmerk­samkeit, als der schwe­dische Strom­konzern Vattenfall wegen des Atomaus­stieges Deutschland auf Schadensersatz in Höhe von 3,5 Milli­arden Euro verklagte – und zwar nicht vor einem Gericht, sondern vor dem ICSID, dem Inter­na­tional Centre for Settlement of Investment Disputes, das der Weltbank unter­ge­ordnet ist.

2009 zog Vattenfall vor das ICSID-Schieds­ge­richt, weil angeblich die Umweltauf­lagen für das Kohle­kraftwerk Moorburg zu strikt seien. Damals einigten sich Politik und Vattenfall – außer­ge­richt­li­chund hinter verschlos­senen Türen. Was man weiß: Die Umweltauf­lagen wurden gelockert. Viel mehr ist von dem Deal nicht bekannt. Und: Die Grünen konnten eines ihrer zentralen Wahlver­sprechen nicht umsetzen. Die Koalition schei­terte bald.

Das Problem lautet: Anders als vor Gericht, ist ein Verfahren vor dem ICSID nicht öffentlich – und damit nicht trans­parent. Anfragen sowohl von Medien als auch von Abgeord­neten werden gar nicht oder nicht verwertbar beant­wortet.

Wegen der übli­cher­weise vertraglich zugesi­cherten Vertrau­lichkeit von Schieds­ver­fahren würde das Abgeord­ne­tenhaus von Berlin in einem vergleich­baren Fall gegebe­nen­falls nicht einmal erfahren, wenn gegen das Land Berlin ein Schieds­ver­fahren betrieben wird, denn Berlin wird in einem solchen Verfahren allein durch die Senatorin vertreten, deren Geschäfts­be­reich betroffen ist.

Im Ergebnis kann niemand wissen, wie viel solche Schieds­ver­fahren unter Betei­ligung des Landes Berlin es bereits gab.

Wie auch immer man solche Schieds­ver­fahren auch bewerten mag: Ganz klar ist, dass sie demokra­ti­scher Kontrolle unter­liegen müssen und die wäre in diesem Fall nicht gegeben.

Der Grundsatz der Gewal­ten­teilung, dessen Bedeutung in der politi­schen Macht­ver­teilung, dem Inein­an­der­greifen der drei Gewalten und der daraus resul­tie­renden Mäßigung der Staats­gewalt liegt, gebietet dass parla­men­ta­rische Kontrolle wirksam sein muss! Daher sind geheime Schieds­ver­fahren, soweit sie den Staat betreffen, mit dem parla­men­ta­ri­schen Regie­rungs­system unver­einbar!

Wir haben aus gutem Grunde ein Öffent­lich­keits­prinzip vor ordent­lichen Gerichten.

Wir fordern daher, solche Formen intrans­pa­renter Schieds­ver­träge und Schieds­ver­fahren für Berlin grund­sätzlich auszu­sch­ließen und auch auf Bundes­ebene dagegen anzuar­beiten.